Getreu dem Motto „Grenzenlos“ gelang es am Samstag, dem 12. Mai, den Hördter Musikern spielerisch mich und den Rest des Publikums über allerhand Grenzen hinweg mitzunehmen und die unterschiedlichsten Bilder in meinem Kopf entstehen zu lassen.
Etwa bei der Reise „In 80 Tagen um die Welt“ von Otto M. Schwarz, bei der ich ein komplettes Abenteuer durchleben durfte, von geheimnisvollen, orientalischen Schlangenbeschwörern, über trampelnde und trötende Elefanten, bis hin zu Horden von Indianern. Ich musste nur die Augen schließen und darauf warten, dass mich das vom Schlagwerk imitierte Ticken und Schlagen einer Uhr wieder in die Hördter Turn- und Festhalle zurückholt.
Unser Landkreis feiert dieses Jahr seinen 200. Geburtstag! Und das Muttertagskonzert ist Teil der Jubiläumsveranstaltungen, das hob der Kulturgemeindevorsitzende Christian Bauchhenß in seinen Grußworten nun hervor, bevor es unter der Leitung von Matthias Wolf weiter nach Bulgarien ging.
Franco Cesarini verwob in seinen „Bulgarischen Tänzen“ mehrere ursprünglich gesungene Volksweisen zu einem teils mitreißenden, teils anrührenden Stück, verschnörkelt durch teuflisch schnelle Fingerspiele bei den Holzbläsern. Der Drive der Tänze machte Laune und ich konnte bei meinen Sitznachbarn einige verstohlen mitwippende Beine oder im Takt nickende Köpfe beobachten. Mir ging es nicht anders und auch die Musiker hatten sichtlich Spaß und spätestens jetzt war es allen auf der Bühne und im Saal schön warm.
Spaß hatte offensichtlich auch Regina Pfister, die sympathisch und spritzig durch das Programm führte. Sie schaffte es, genau die richtige Menge an Hintergrundinformationen zu geben, durch die die Musik für den Zuhörer erst ihre Lebendigkeit bekommt.
Vor der Pause versuchte schließlich noch der arme Junge Aladdin Grenzen zu überwinden, indem er und Prinzessin Jasmin einen Weg finden mussten, ihre Liebe über Standesdünkel hinweg durchzusetzen. Das von J.G. Mortimer arrangierte Werk „Aladdin“ ließ mich teilhaben an der Flucht des Jungen vor einflussreichen Machthabern und es beinhaltet das traumhafte Lied „A Whole New World“, bei dem einige Musiker auf der Bühne ganz entrückt in ihren Spielpausen die Augen schlossen.
Nach der Pause ehrte der Vorsitzende des Kreismusikverbandes Bernhard Reiß den Dirigenten Matthias Wolf für 25 Jahre musikalischen Einsatz im Verein, Bernd Fischer aus dem tiefen Blech für 40 Jahre und schließlich Peter Doll „der Zweite“ für sage und schreibe 50 Jahre. Den Jubilaren wurden jeweils eine Anstecknadel und eine Urkunde überreicht.
Der Konzertmarsch „Mercury“ von Jan van der Roost ist -typisch britisch- in Moll geschrieben und besticht meiner Meinung nach vor allem im Trio durch eine wunderschöne, dynamische Melodie. Alles gipfelt, wie sich das für einen schwungvollen Marsch gehört, in einem fulminanten Ende.
So simpel das mit Märschen ist, so wenig hält sich das nun kommende Werk „Dreamland“ an vorgegebene Strukturen. Als Vorlage diente dem Komponisten das 1946 entstandene Gedicht „Dreamland“ von E.A. Poe. Und wer Poe kennt, weiß, was nun kommt ist nichts für schwache Nerven! Träume werden regiert von Chaos und Absurdem, dementsprechend gibt es auch im nächsten Stück nichts Herkömmliches. Alles ist anders und so wird es, wie man mir im Vorfeld mitteilte, bestimmt von ständigen Taktwechseln und einigen ungewöhnlichen Klängen. Ich bin voller Erwartung. Wurde „Dreamland“ doch als Uraufführung groß angekündigt, komponiert „vun äm Hördter Bu“, der bei der „Harmonie“ und somit heute bei seinem eigenen Stück die erste Trompete spielt: Er heißt Schira. Jonas Schira. Merken Sie sich diesen Namen, denn er schafft es jeden in die grenzenlosen Abgründe seiner Seele fallen zu lassen, ob man nun will oder nicht. Es gibt kein Entrinnen, wenn man auf düsteren Pfaden durch trostlose Wälder irrt, auf der Flucht vor geisterhaften Schatten, heimgesucht von bedrückenden Szenarien der eigenen Vergangenheit. Ich schlafe und träume, bis der Flug über neblige Landschaften endlich von einigen Sonnenstrahlen der Morgendämmerung durchbrochen wird und man mit dem Erklingen einer Spieluhr sanft erwacht. Zum Glück. Trotz aller Beklemmung und nicht zuletzt dank der herausragenden Interpretation des Musikvereins war dieses Stück mein persönliches Highlight des Abends!
Und schon ging es in die nächste (erholsame) Schlafphase mit dem Wiegenlied „The Seal Lullaby“ von Eric Whitacre. Dabei soll man sich -laut Moderatorin Regina Pfister- eine Mama-Robbe vorstellen, die für ihre Baby-Robbe ein Schlaflied singt. Und… es funktioniert, denn das Stück hat alles, was ein Schlaflied braucht: eine schlichte aber wunderschöne Melodie, Glockenspiel und sanfte, einfühlsame Klaviermusik. Und alles ist durchdrungen von der grenzenlosen Liebe einer Mutter zu ihrem Kind.
Zum Abschluss des offiziellen Konzertprogramms verzauberte uns „The Sound of Ireland“ und dieses Stück macht seinem Namen alle Ehre, denn es wird bestimmt von Flöten, Flöten, Flöten. Und Steptänzern. Erstmal zu den Flöten. Neben der altbekannten Querflöte kamen noch die Piccoloflöte, die traditionelle Tin Whistle und die vor einigen Wochen eigenhändig in Irland gekaufte Irish Wooden Flute zum Einsatz. So wurde „The Sound of Ireland“ von Guido Rennert zu einem authentischen Klangerlebnis, das auch was fürs Herz bereithielt: Die Ballade für Solo-Tenorhorn „Song for Ireland“. Nun zu den Steptänzern. Wie es um die steptänzerischen Fähigkeiten der Musikerinnen und Musiker bestellt ist, wurde dem Publikum verschwiegen. Diese sind wohl grenzenlos bodenlos. Denn statt Live-Steptanz musste man eine andere Lösung finden, und eine bessere hätte es nicht geben können: Mehrere Minuten lang imitierte die Schlagwerktruppe den traditionellen irischen Solo-Steptanz, inklusive Tempiwechsel und den unterschiedlichsten, rhythmisch herausfordernden Schrittfolgen. Atemberaubend, weil täuschend echt! (Vielleicht hatten sie doch ihre Stepschühchen an den Füßen?) Gänsehautmomente nicht nur für Irlandfans.
Applaudiert wurde bombastisch und das obligatorische Röschen für die Damen teilten die Nachwuchsmusiker im Verlauf von „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef aus. Die eigentliche Zugabe, den „Marsch der belgischen Fallschirmspringer“, bescherte das Publikum mit abermals reichlich Applaus und so endete mit einem Schlusswort des Vereinsvorsitzenden Wolfgang Eßwein ein mitreißender Konzertabend, der mich wirklich über meine Grenzen hinausbrachte. Wen nicht?